Interview Simone Schönfeld

Expert*inneninterview Simone Schönfeld

Simone Schönfeld

Alles Geschlecht?

Warum sich bei der Digitalisierung die Geschlechterperspektive lohnt

In vielen Lebensbereichen erleben wir Menschen als Männer oder Frauen. In einer digitalisierten Arbeitswelt dagegen entsteht oft der Eindruck, dass das Geschlecht zweitrangig wird. Kann man das wirklich so sagen? Simone Schönfeld, geschäftsführende Gesellschafterin von Cross Consult gibt Antworten aus ihrer Beratungsexpertise im Bereich Mixed Leadership und Organisationsentwicklung.

Wie würde eine gendergerechte Digitalisierung Ihrer Meinung nach aussehen?


Eine gendergerechte Digitalisierung hat verschiedene Elemente. Die Frage ist: „Habe ich die Gelegenheit, die Ausstattung und die Voraussetzungen, an dieser digitalen Welt angemessen zu partizipieren?“ und das macht sich an verschiedenen Faktoren fest. Das heißt, habe ich ausreichende Lernmöglichkeiten, um mich in diesem Themenfeld weiter zu entwickeln, gibt es überhaupt die digitale Ausstattung mit den entsprechenden Gerätschaften und sind die zeitlichen Ressourcen vorhanden, um dem auch Raum und Möglichkeiten zu geben?

Und hier gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern?


Wir sehen, dass der aktuelle Digitalisierungsschub für die Geschlechter ganz unterschiedliche Konsequenzen hat. Die positiven Aspekte sind zum Beispiel, dass wir Menschen mit einem limitierten Umfang an Arbeitszeit – das sind oft Frauen – einen ganz einfachen Zugang zu virtuellen Meetings verschaffen können. Darüber hinaus sparen virtuelle Treffen Zeit, wenn beispielsweise der Arbeitsweg entfällt. Auch die klassischen Kriterien des Themas „wie bin ich präsent?“, „wie viel Raum nehme ich mir?“, bilden sich ganz anders ab. In Online-Meeting sind wir alle erstmal eine gleich große Kachel auf dem Bildschirm. Und das hat schon eine unglaublich egalisierende Wirkung.



Auf der anderen Seite limitiert das Thema zeitliche Verfügbarkeit extrem. Hier spielen sozialstrukturelle Rahmenbedingungen wie Familiensituation und Kinderbetreuung eine große Rolle, weil sie schlicht und ergreifend Verfügbarkeit und Präsenz bestimmen. Für mich ist das die große Stellschraube. Dabei ist gerade die Verfügbarkeitserwartung an die virtuellen Arbeiter*innen ist nicht weniger geworden. 

Was bedeutet das für Unternehmen?


Wir stoßen bei dieser Frage auf Empfehlungen, die es schon länger gibt. Also, dass man Team-Meetings trotz Homeoffice nicht abends um 18 Uhr ansetzt, wenn alle eine Chance zur Partizipation haben sollen. Gleichzeitig erleben wir derzeit, dass Unternehmen und Organisationen selbst in einem totalen Kulturwandel stehen. Die Zukunft wird mit Sicherheit die hybride Arbeitsweise sein, die die Arbeit im Homeoffice mit virtuellen Tools mit Zeit im Büro kombiniert. Wir sehen aber, dass vor allem Männer die Rückkehr ins Büro antreten und dadurch Präsenzzeiten fördern. 

An der einen oder anderen Stelle entsteht auch der Eindruck, dass diejenigen, die nach Möglichkeit schnell wieder ins Büro zurückgekehrt sind, dies bewusst tun, um Entscheidungen mit beeinflussen und steuern zu können. Frauen dagegen nutzen vor allem das virtuelle oder hybride Arbeiten gerne, weil es oftmals die Vereinbarkeit der verschiedenen Lebensbereiche erleichtert. Die Frage ist also: Wie schaffen wir es, eine hybride Arbeitskultur zu entwickeln, in die diejenigen, die in Präsenz vor Ort sind und die, die zugeschaltet sind, auch den gleichen Raum und die gleiche Bedeutung haben?

Wie kann das gehen?


Insbesondere für Führungskräfte ist wichtig, dass sie willig und in der Lage sind, angemessene Kommunikationsarbeit zu leisten. In der Vergangenheit konnte sich auf die Gelegenheit zufälliger Kommunikation mit den Mitarbeitenden z.B. in der Kaffeeküche verlassen werden, dies muss nun bewusst und eigeninitiativ hergestellt werden. Zwischen den Unternehmen gibt es allerdings große Spannbreiten: Viele Unternehmen haben übergreifende Kommunikationsformate geschaffen, wodurch statt einzelne Teams gesamte Bereiche adressiert werden können und eine Kommunikation über hierarchische Ebenen hinweg unkomplizierter gestaltet wird. So schaffen beispielsweise regelmäßige virtuelle Kaffeepausen notwendige Kommunikationsräume. Auf der anderen Seite hakt es bei manchen Organisationen aber auch bei der technischen Infrastruktur, die für solche Angebote grundlegend ist. 

Beim Begriff „Gender“ geht es ja um das soziale Geschlecht, also Rollen und Erwartungen, die mit Geschlechtern verbunden werden. Wie äußert sich das im Arbeitsalltag?


Zum einen wird das ganze Gender-Thema momentan ein bisschen durchgemischt, weil ich eben schon auch die jungen Männer und die jungen Väter als eine Zielgruppe erlebe. Auch diese schreien nicht mehr nur „Juhu!“, wenn eine neue Aufgabe ansteht, sondern entscheiden sehr bewusst: „Mache ich das oder mache ich das gerade nicht?“. Dies geschieht auch in Abhängigkeit von den Fragen „Interessiert mich das?“, „Habe ich da einen Nutzen davon?“, „Will ich überhaupt sowas wie Karriere machen?“. Das sind Fragen, die mittlerweile geschlechterübergreifend sind.


Zum anderen ist das größte Hindernis für eine gendergerechte Digitalisierung, dass Stereotype und Zuschreibungen, die wir haben, oft 1:1 transportiert werden. Daran ändert sich auch durch die virtuelle Arbeit nichts, da weiterhin Entscheidungen von Menschen getroffen werden, die auch Kompetenzen zuschreiben und Chancen eröffnen oder auch verhindern. Daran hat sich im letzten Jahr nicht wirklich etwas verändert. Damit hier Veränderung passieren kann, sollten Organisationen ihre Mitarbeiter*innen und Führungskräfte für Stereotypen und Unconscious Bias, also unbewusste Vorurteile, sensibilisieren. Dabei ist die zentrale Frage: Werden alle Perspektiven aus der Organisation an dieser Stelle repräsentiert?

Wie sehen Sie die Zukunft?


Die Situation birgt eine wirkliche Chance einer egalitäreren, gleichberechtigten Arbeitswelt. Aber das Gelingen hängt davon ab, wie sich diese hybride Arbeitswelt kulturell entwickelt. Denn jede der bereits genannten Kacheln, die wir dann da sehen, ist halt dann doch nicht gleich, sondern bringt unterschiedliche strukturelle Rahmenbedingungen mit, die weiterhin mitgedacht werden müssen.

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